Was ist Spieltheorie?

(übernommen von http://www.sowinet.de/glossar/glossar_005.html am 23.02.2002)

Begriffe:
Die sog. Spieltheorie will das Verhalten von Menschen in ganz bestimmten sozialen Situationen verstehen und erklären. Mit spieltheoretischen Methoden analysieren Wissenschaftler die Entscheidungsmöglichkeiten von mehreren "Akteuren", wenn der Erfolg jedes Einzelnen nicht nur von den eigenen Handlungen abhängt, sondern auch davon, was die anderen Beteiligten tun. Man spricht dann von "strategischer Interdependenz". Als "Spiel" wird die gesamte Situation bezeichnet: Wie viele Akteure ("Spieler") gibt es, welche Ziele haben sie, welche Handlungsmöglichkeiten hat jeder Akteur, wie beeinflussen die Entscheidungen des Einen den Erfolg des Anderen? Wenn man unterstellt, dass die Spieler ihren eigenen Erfolg (ihre sog. "Auszahlung", engl. payoff) maximieren wollen, dann lassen sich ihre Verhaltensweisen oft vorhersagen. Wenn sich für jeden der Spieler eine eindeutige Verhaltensregel ergibt, liegt ein "Gleichgewicht" vor.

Besonders Ökonomen und Politologen verwenden spieltheoretische Modelle, um etwa das Verhandlungsverhalten von marktbeherrschenden Wirtschaftsunternehmen oder die Abschreckungsstrategien von Atommächten während des Kalten Krieges zu untersuchen. Soziologen behandeln nicht zuletzt Probleme sozialer Ordnung unter spieltheoretischer Perspektive - wie kommt es dazu, dass in sozialen Gruppen Normen entstehen, und wann unterwerfen sich die Gruppenmitglieder diesen Regeln, wann nicht? Oft ist das Ergebnis, dass auf den ersten Blick unvernünftig erscheinende Verhaltensweisen für die einzelnen Spieler durchaus rational sind, wenn die strategischen Interdependenzen berücksichtigt werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Gefangenendilemma.

Vorgehen:
Ziel ist es, die Interdependenz der Entscheidungen mehrerer Akteure zu analysieren. Dabei wird meist vom einfachsten Fall ausgegangen, dass nur zwei Akteure mit- oder gegeneinander spielen. Für jeden der beiden Akteure oder Spieler wird (durch Betrachtung der realen Situation, die modelliert werden soll) bestimmt, welche Handlungsalternativen er oder sie hat und welchen Nutzen ("Auszahlung") er oder sie aus jeder einzelnen Alternative ziehen würde. Es wird angenommen, dass die Spieler in dem Sinne egoistisch und rational sind, dass sie die Handlung wählen, die ihnen die höchste Auszahlung verspricht.
Der Ertrag der Alternative, die z.B. Spieler 1 wählt, hängt allerdings oft davon ab, welche Alternative Spieler 2 gewählt hat. Daher müssen die Handlungsoptionen beider Spieler gleichzeitig dargestellt werden. Ein Weg dazu ist, eine Matrix der Optionen und der damit verbundenen Auszahlungen zu bilden.
Z.B. habe jeder Spieler zwei Handlungsoptionen. Dann ergibt sich eine Matrix mit 4 Feldern, deren Zeilen durch die Handlungswahl des einen Spielers definiert sind, deren Spalten durch die Wahl des anderen Spielers, und die in den Zellen einen zweifachen Eintrag für die Höhe der jeweiligen Auszahlungen für beide Spieler hat. Die linke Zahl in jeder Zelle bezeichnet die Auszahlung des Spielers links (1), die rechte Zahl benennt die Auszahlung des Spielers oben (2). Hier wird die Auszahlung allgemein mit "Punkten" beziffert, es könnte sich aber genauso gut um Geldbeträge oder ähnliches handeln.

   

Spieler 2  

   

Handlung A2
 

Handlung B2
 

Spieler 1   

Handlung A1   

5 ; 4

2 ; 2

Handlung B1   

2 ; 3

3 ; 2

In der hier abgebildeten Matrix ist die Entscheidung beider Spieler klar: Für beide ist die Auszahlung am höchsten, wenn sie ihre jeweilige Handlung A wählen. Spieler 1 bekommt eine Auszahlung von 5 Punkten, Spieler 4 eine Auszahlung von 4. Würde sich jedoch Spieler 2 irrational verhalten, und statt Handlung A2 die Handlung B2 wählen, so würde Spieler 1 nur 2 Einheiten ausgezahlt bekommen, Spieler 2 allerdings auch.

Erweiterungen:
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, das Analyseschema zu erweitern. Z.B. wurde bis jetzt vorausgesetzt, dass jeder Spieler sicher weiß, welche Auszahlungen er selbst bei welcher Handlung zu erwarten hat, wie er auch weiß, welche Handlungsoptionen und Auszahlungen der andere Spieler hat. Diese Annahme der vollständigen und symmetrischen Information zu variieren ist eine der wichtigsten Anpassungen des Modells an reale Situationen.
Eine andere zentrale Erweiterung ist, dass die Spielsituation auch wiederholt werden kann: Dieselben Spieler treffen nicht nur einmal aufeinander, sondern mehrfach. Auch dadurch können sich die Entscheidungskalküle verändern, wie z.B. beim Gefangenendilemma deutlich wird.

Links zur Spieltheorie:
Einführung in Grundlagen der Spieltheorie, einige Spiele (engl.)
Geschichte der Spieltheorie
Economic and Game Theory (engl., mit Anwendungsbeispielen)
Simulation des Gefangenendilemmas (engl.)


Einführende Literatur:
Dixit, Avinash K. / Nalebuff, Barry J.: Spieltheorie für Einsteiger. Schäffer-Poeschl, Stuttgart, 1997.
Mérö, László: Die Logik der Unvernunft. Spieltheorie und die Psychologie des Handelns. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek b. Hamburg, 2000.
Rieck, Christian: Spieltheorie, Einführung für Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Gabler, Wiesbaden, 1993.]

(übernommen von http://www.sowinet.de/glossar/glossar_005.html am 23.02.2002)

© Copyright: Prof. Dr. Burkhardt Krems, Köln, 2004-02-07