Online-Verwaltungslexikon

Leitungsspanne - Studienmaterial

(Beitrag im Online-Verwaltungslexikon olev.de, Version 1.13)

1.   Fallbeispiele

Fallbeispiel 1

Für eine neue Aufgabe wurde ein Personalbedarf von 8 Ausführungsstellen ermittelt. Es ist festzulegen, wie diese 8 Ausführungsstellen organisatorisch eingeordnet werden.

Bei einer Leitungsspanne von 1 : 8 erhält man die nachfolgende Struktur mit einer Instanz und zwei Ebenen[1].

Abbildung 1: Struktur bei Leitungsspanne 1 : 8

Wählt man die - extrem kleine - Leitungsspanne von 1 : 2, ergibt sich bei konsequenter Durchführung auf allen hierarchischen Ebenen das folgende Bild mit insgesamt 7 Instanzen und vier Ebenen.

Abbildung 2: Struktur bei Leitungsspanne 1 : 2

Welche Struktur sollte gewählt werden? Wovon hängt dies ggf. ab? Je nach Struktur: mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, auf die man sich einstellen muss? Was gilt in Zeiten des "Neuen Steuerungsmodells"?

Fallbeispiel 2

In einer großen Behörde ist der IT-Bereich kontinuierlich gewachsen. Nach einigen Pannen klagt der Leiter, sein Bereich sei einfach zu groß. Er brauche einen Stab zur Unterstützung. Von anderer Seite wird ein "Ständiger Vertreter" ins Gespräch gebracht.

Was würde das Organisationsreferat überlegen, was würde es vorschlagen?

2. Begriff

Die Leitungsspanne beschreibt den Aufbau in seiner zahlenmäßigen Struktur: wieviele Stellen sind einer Instanz unmittelbar unterstellt, ggf. auch: wieviele Personen nehmen die Instanzfunktion wahr. Die "optimale Leitungsspanne" ist die bestmögliche, bei der einerseits die Führungsaufgabe (noch) gut wahrgenommen werden kann, aber gleichzeitig die Leitungskapazität ausgeschöpft wird.

Im Normalfall besteht die Instanz nur aus einer Stelle. Es gibt aber wichtige Ausnahmen, vor allem im Leitungsbereich. Deshalb wird die Leitungsspanne oft als Verhältniszahl angegeben, in der zweiten Abbildung also mit 3 : 5. Im Leitungsbereich größerer Behörden ist es typisch, dass ein "ständiger Vertreter", z. B. ein Vizepräsident/eine Vizepräsidentin, an der Leitungsaufgabe beteiligt ist, im Ministerium können dem Minister/der Ministerin in mehrere (beamtete) Staatssekretäre (-innen) unterstehen, die mit ihm gemeinsam das Haus leiten[3]).

Merke: Es rechnen nur die unmittelbar unterstellten Stellen, für den Leiter auf der obersten Stufe ist die Leitungsspanne also ebenfalls 1 : 2, obwohl ihm mittelbar noch weitere 12 Mitarbeiter unterstehen. [2]

Bei der Beschreibung der Organisation wird das Wort "Leitungsspanne" als Ist-Größe verwendet; wird dagegen erörtert, wie groß die Leitungsspanne sein sollte, wird die optimale Leitungsspanne als Soll-Größe diskutiert. Beide Aussagen (beschreibend: Ist-Größe) und bewertend ("optimale Leitungsspanne" als Soll-Größe) sollten möglichst unterschieden werden. Wird das "Problem" Leitungsspanne diskutiert, ist im Zweifel die Soll-Größe gemeint.

3. Bedeutung

Aus der Gegenüberstellung zum Beginn des Kapitels erkennt man, dass große Leitungsspannen breite, flache Hierarchien, kleine Leitungsspannen dagegen schmale, steile Hierarchien ergeben.

Eine große Leitungsspanne und infolgedessen ein flacher hierarchischer Aufbau besitzen wichtige Vorteile:

Allerdings hat auch eine zu große Leitungsspanne gewichtige Nachteile:

4.   Einflussgrößen auf die Leitungsspanne

Die Einflussgrößen sind Ansatzpunkte für die Erklärung vorhandener Leitungsspannen ("warum wurde die Leitungsspanne X gewählt?" - Ist-Wert der Leistungsspanne) und für die Empfehlung einer zweckmäßigen, "optimalen" Leitungsspanne ("welche Leitungsspanne sollte gewählt werden?" - Soll-Größe).

Bei dieser Empfehlung sollten persönliche Aspekte, die nur für den Einzelfall gelten, möglichst nicht berücksichtigt werden, denn eine an konkreten Personen ausgerichtete Organisation ist problematisch: bei Ausscheiden der Person müsste konsequenterweise eine Umorganisation erfolgen, die sich auf weitere Arbeitsplätze erstreckt; das gefährdet die Stabilität der Organisation.[5]

Einflussgrößen wirken

Das hier angewandte Vorgehen, die Größe der Leitungsspanne als Folge mehrerer Einflussgrößen anzusehen, entspricht dem situativen Ansatz und ist für eine erste Orientierung brauchbar. Der Anschein einer schematischen Beziehung zwischen Situation und Organisationsstruktur ist allerdings - darüber herrscht in der Wissenschaft inzwischen weitgehend Einigkeit - unrichtig. Der Faktor "Mensch" ist ebenso wenig kalkulierbar wie die möglichen Antworten auf Situationen: Menschen und Systeme sind anpassungsfähig, und im übrigen: structure follows strategy - auch die gewählte Führungsstrategie beeinflusst den Erfolg. Siehe dazu unten 5.3 sowie den "Beitrag situativer Ansatz".

5.   Einflussgrößen auf die Leitungsspanne im einzelnen:

5.1  Einflussgrößen auf den Führungsaufwand[6]

Je höher der Aufwand für die Führungskraft, desto kleiner sollte die Leitungsspanne gewählt werden:

kleinere Leitungsspanne wenn Merkmal
größere Leitungsspanne wenn
schwierig Aufgaben
der Mitarbeiter
leicht
verschiedenartig gleichartig
wenig Wiederholung / Routine viel Wiederholung / Routine
gering
(Mitarbeiter habe wenig Selbständigkeit / Entscheidungsbefugnisse)
Delegationsgrad hoch
(Mitarbeiter habe viel Selbständigkeit / Entscheidungsbefugnisse)
Einzelweisung Koordination
durch
Selbstabstimmung
Programmierung/Standardisierung
Planung
gering

Qualifikation
der Mitarbeiter

hoch
Nur „typische Bedingungen“ zählen, da nicht personbezogen organisiert werden darf.
Es gibt Bereiche, wo überwiegend Aushilfskräfte arbeiten. Dort ist mehr Anleitung und Aufsicht notwendig. Entsprechendes gilt für Referate, in  den typischerweise Berufsanfänger ihre erste Praxiserfahrung sammeln.

 

5.2    Einflussgrößen auf die Führungskapazität

kleinere Leitungsspanne wenn Merkmal
größere Leitungsspanne wenn
gering Qualifikation
des Vorgesetzten
hoch
In größeren Einrichtungen für allgemeine Festlegung und/oder auf Dauer zählen nur„typische Bedingungen“, da nicht personbezogen für einen konkreten Vorgesetzten organisiert werden sollte. In kleineren Einrichtungen kann die Berücksichtigung der Person des konkreten Vorgesetzten sinnvoll sein; entsprechendes gilt ggf. für einzelne herausgehobene Führungspositionen[8a]
hoch Belastung durch andere Aufgaben
gering/fehlt
(eigene Bearbeitungsaufgaben, Gremienarbeit, Repräsentation)
fehlt Entlastung durch
Delegation von Führungsteilaufgaben
vorhanden
Delegation von Führungsteilaufgaben (z.B. auf einen "Ständigen Vertreter" oder auf Sachgebietsleiter)[9]
fehlt Entlastung durch
Stabsstelle(n)
vorhanden
Stäbe sind nur auf höheren Ebenen zulässig!
fehlt Entlastung durch
Führungsinstrumente
vorhanden
z.B. IT-gestützte Planungsverfahren

5.3    Bedeutung der Einflussgrößen und die Grenzen des "situativen Ansatzes"

Aus der Vielzahl von Einflussgrößen lässt sich bereits ablesen, dass es eine "beweisbar" richtige Leitungsspanne nicht gibt, erst Recht ist das Problem nicht rechnerisch lösbar. Denn je nach Situation können einzelne Einflussgrößen dominieren, ohne dass sich eine Regel angeben ließe, wann und in welchem Umfang. Gar "Durchschnittswerte" für die Einflussgrößen für maßgeblich zu erklären, ist völlig praxisfremd und wird auch nur ganz selten vertreten.

Bei schwierigen Nichtroutineaufgaben, z. B. Forschung, kann eine extrem große Leitungsspanne erfolgreich sein: weil die Forscher selbständig und mit gegenseitiger Unterstützung arbeiten. Im BMI hat man für den Bereich der Organisationsarbeit und der Verwaltungsmodernisierung eine extrem große Leitungsspanne des Referatsleiters Z 2a gewählt, die Mitarbeiter in den unterstellten Projektgruppen arbeiten als Team und weitgehend selbständig, so dass diese extreme Leitungsspanne von mehr als 20 funktionsfähig erscheint. Bei der keineswegs leichten Aufgabe der Lehrkräfte findet man in den Schulen vergleichsweise extreme Leitungsspannen, zumal der Schulleiter in der Regel auch noch selbst einen Teil der Zeit unterrichten muss.

Das Problem ist letztlich, dass - bei maximaler Entlastung von fachlicher Steuerung und Arbeit - die Aufgabe der Personalführung bleibt und ernst genommen werden muss, wie die Bundesregierung betont. Damit sind einer Vergrößerung Grenzen gesetzt, die im Verwaltungsbereich bei mehr als 20 Mitarbeitern im Regelfall überschritten sein dürften. In der Praxis sind bei so großen Leitungsspannen in aller Regel Entlastungen durch die Übertragung von Führungsteilaufgaben auf Sachgebiets-, Gruppen- oder Teamleiter o. ä. vorhanden, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sein mögen, aber zur Realität gehören.

Und: structure follows strategy - bewusst "zu groß" gewählte Leitungsspannen können durch verschiedene Reaktionen / Kompensationen praktikabel werden:

 


Anmerkungen

[1]   Ausführungsebene und 1. Instanz, entspricht einer Gliederungstiefe von 2.

[2] Sonderfälle:

Stab: er sollte bei der Ermittlung der Leitungsspanne der Instanz mitgezählt werden, denn auch der Stab belastet die Führungskapazität, und eines der Probleme in der Praxis ist die Überlastung durch eine zu große Zahl von Beratungseinrichtungen. Dass der Stab die Aufgabe der Leitungsunterstützung hat, ist (erst) bei der Bewertung der Leitungsspanne anhand der unten wiedergegebenen Liste von Einflussgrößen zu berücksichtigen;

Mehrlinienorganisation, z.B. Fuktionsmeistersystem: hier sollten die Funktionsmeister als eine Instanz aufgefasst und der Zahl der unterstellten Mitarbeiter gegenüber gestellt werden; bei der Bewertung ist dann die fachliche Spezialisierung der Funktionsmeister zu berücksichtigen, die eine Vergrößerung der Leitungsspanne zulassen sollte.

[3] Der Parlamentarische Staatssekretär soll den Minister in seiner Arbeit in und gegenüber dem Parlament unterstützen, er entlastet demnach den Ministern nicht bei der Leitung seines Hauses.

[4] Vgl. dazu im einzelnen das Thema "Führung". Die Führungsaufgabe umfasst u.a. die Aufgabe der Organisation; ist der/die Vorgesetzte überlastet, kann diese Aufgabe nicht wirksam wahrgenommen werden und deshalb die Aufgabenerledigung nicht wirtschaftlich erledigt werden. - Führung hat deshalb - im positiven wie im negativen Sinne - Hebelwirkung für die Institution, weshalb die Auswahl der Führungspersonen nach "politischen", d.h. nicht nach fachlichen Gesichtspunkten, zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der gesamten Institution führen kann, denn der Vorgesetzte entscheidet über Qualität und Produktivität der Arbeit der ihm unterstellten Mitarbeiter - und nicht nur seiner "eigenen" Arbeitskraft.

[5] Im übrigen: wollte man für alle Mitarbeiter diese persönlichen Aspekte berücksichtigen, wäre es schwierig, die Aufgaben zu erfüllen. Personorientiertes Organisieren sollte deshalb die große Ausnahme sein. Sinnvoll wäre es z.B. beim Einsatz von Schwerbehinderten, auf deren Bedürfnisse der Arbeitsplatz möglicherweise angepasst werden muss.

[6] Nicht sinnvoll ist es, nach der im Referat verwendeten Spezialisierungsart zu differenzieren. Die These, bei Verrichtungsspezialisierung sei eine kleinere Leitungsspanne angebracht als bei Mengenteilung, beruht auf dem in solchen Fragen typischen Vergleichsfehler: es werden Fälle miteinander verglichen, die sich in mehreren Aspekten unterscheiden, und die unterschiedliche Leitungsspanne wird dann nur dem Faktor "Spezialisierungsart" zugeschrieben. Folgende Überlegung verdeutlicht den gedanklichen Fehler: Wird ein Referat bei unveränderter Aufgabenstellung von Mengenteilung auf Verrichtungsspezialisierung umgestellt, stellt die Führungsaufgabe im wesentlichen die gleichen Anforderungen wie bisher. Warum sollte jetzt aber eine kleinere Leitungsspanne erforderlich sein?

Richtiger erscheint es deshalb, die Unterschiede mit den hier aufgeführten, im übrigen auch differenzierteren Merkmalen zu erfassen. In dem Beispielsfall bleiben Schwierigkeitsgrad und Verschiedenartigkeit der Aufgaben gleich, werden nur anders verteilt; ändert sich dagegen die personelle Besetzung, z.B. durch Einsatz geringer qualifizierter Arbeitskräfte oder durch einen geringeren Delegationsgrad, steigt damit und deshalb die Führungsbelastung und wäre die Leitungsspanne proportional zu der mit diesen Merkmalen erfassten Veränderung zu verringern.

[7] Beachte: für eine vom Wechsel der Personen unabhängige Organisationsstruktur ("organisation ad rem") sollte es nicht auf die Qualifikation eines konkreten Vorgesetzten ankommen, umgekehrt: es sollte der Vorgesetzte gesucht werden, der die nach organisatorischer Zweckmäßigkeit gebildeten Einheit zu leiten imstande ist; Abweichungen sind unter den Bedingungen zu rechtfertigen, die für eine personbezogene Organisation ("organisation ad personam") sprechen.

[8] Für die Leiter der Basiseinheiten (Referate, Dezernate usw.) ist z.T. ausdrücklich vorgesehen, dass sie einen Teil der Referatsaufgaben selbst bearbeiten und deshalb nicht mit ihrer ganzen Arbeitskraft als Vorgesetzte wirken können; vgl. z.B. Nr. 3.1.2 der "Richtlinien über Aufgabenerledigung, Organisation, Zusammenarbeit und Personaleinsatz in den dem Bundesminister des Innern nachgeordneten Dienststellen". Eine entsprechende Regelung besteht für den BMI selbst.

[8a] Nachteil ist dann, dass bei Wechsel der Person umorganisiert werden muss.

[9] Früher geregelt in Nrn. 3.5.3 und 3.5.4 der "Richtlinien über Aufgabenerledigung, Organisation, Zusammenarbeit und Personaleinsatz in den dem Bundesminister des Innern nachgeordneten Dienststellen" des BMI, die inzwischen als Maßnahme der Deregulierung aufgehoben worden sind. Der Sache nach gilt dies aber weiter.

[10] In Ministerien kann für den Minister, den Parlamentarischen Staatssekretär und den (beamteten) Staatssekretär ein Mitarbeiter des höheren Dienstes als persönlicher Referent bestellt werden.

© Copyright: Prof. a. D. Dr. Burkhardt Krems, Köln, 2022-01-08