(Beitrag im Online-Verwaltungslexikon olev.de, Version 1.13)
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Organisation (im Sinne von Institution),
2. Weitere Informationen |
a) Eine lernende Organisation erfordert mindestens
Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Sobald man
aufhört, treibt man zurück. |
2.2 Abgrenzung zu Organisationsentwicklung |
Vereinfacht:
2.3 | Routine, Selbstbezogenheit, Stabilität als Merkmale der traditionellen, "nicht lernenden" Organisation |
Das Problem lässt sich besser verstehen im Kontrast zu herkömmlichen Organisationen, genauer: zu Organisationen, in denen typische Tendenzen wirksam sind, die aus der Natur des Menschen und sozialer Systeme folgen.
Organisationen haben noch eine weitere typische, aber höchst problematische Eigenschaft: sie tendieren zu "Selbstbezogenheit", in dem sie sich auf sich selbst beziehen und sich mit sich selbst beschäftigen, systemtheoretisch: sie sind selbstreferenziell. Damit reagieren sie nicht mehr auf Umwelteinflüsse, sondern leben ihr Eigenleben.[FN4]
Diese Verselbständigung ist ein typisches Kennzeichen der traditionellen Verwaltung, die nicht gezwungen ist, nach außen Rechenschaft abzulegen. Typisch ist auch, dass die Mitglieder solcher Systeme, die Mitarbeitenden, überwiegend mit einander kommunizieren (Untersuchungen in der Kommunalverwaltung in den 80er Jahren ergaben: 85% der Kommunikation ist verwaltungsintern). Es entwickeln sich dann zwangsläufig Kommunikationsregeln und ein Sprachgebrauch, der von der erfolgreichen internen Kommunikation geprägt. ist. Der Bürger, der diese Sprache nicht versteht, wird zum Außenseiter und Störenfried.
Das erklärt, weshalb in der traditionellen Verwaltung die Tendenz besteht, dass die Leistung für den Bürger und seine Zufriedenheit keine Rolle spielt: das System "Verwaltung" ist "sich selbst genug", wenn es die Leistungen erbringt, die es für angemessen hält.
Eine wichtige Ergänzung ist angebracht: das System ist angewiesen auf die Ressourcen. Deshalb entwickelt es entsprechende Strukturen, um den Input sicherzustellen oder zu vergrößern. Die traditionelle Inputsteuerung hat also systemtheoretisch erklärbare Folgen für die Verwaltung.
Damit besteht für die Verwaltung keine Veranlassung, sich mit dem Output und dem Bürger oder dem sonstigen Empfänger der Leistung zu beschäftigen, Lernimpulse empfängt es im wesentlichen aus der Input-Beziehung, im übrigen kann es gut und gern selbstreferenziell bleiben und sich mit sich selbst beschäftigen, einschließlich der Gestaltung der eigenen Strukturen und der Selbst-Ergänzung (Autopoiese).
2.4 | Lernen |
Lernen lässt sich definieren als
Ausführlicher s. den Beitrag "Lernen" hier in olev.de
a) KGSt
Zielgerichtet auf das Bild einer optimalen Verwaltung interpretiert die KGSt eine lernende Organisation wie folgt:
Eine Verwaltung wird dann zur Lernenden Verwaltung, wenn die Entscheidungen ... (Anm.: Welche Produkte, welche Prozesse, welche Strukturen. B. K.) immer wieder neu getroffen werden. ... Dies bedeutet, daß die Verwaltung und ihre Fachbereiche nicht nur auf die unmittelbaren Wünsche ihrer Bürger bzw. Kunden eingehen ... sollten, sondern daß sie in der Lage sein müssen, potentielle Problemlagen zu erkennen, aufzugreifen und frühzeitig entsprechende Produkte bereitzustellen (Anm.: sich proaktiv zu verhalten. B. K.). Gleichzeitig müssen sowohl die Prozesse als auch die Strukturen ... angepaßt werden. (KGSt, Handbuch Organisationsmanagement, 1999, S. 4-38)
Leitbild muß ... eine Organisationsform sein, die zur beständigen Veränderung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Ordnung fähig ist. (a.a.O., S. 3-29)
Grundsätzliche Zweifel an der Konzeption einer "lernenden Organisation" äußert Erich Frese, Grundlagen der Organisation, 7. Aufl. 1998, S. 34:
"Es ist allerdings fraglich, ob beim gegenwärtigen Stand der theoretischen Diskussion um die vielfältigen Aspekte organisationalen Lernens bzw. lernender Unternehmungen eine umfassende Einbeziehung von Lernaspekten in eine anwendungsorientierte Gestaltungskonzeption überhaupt sinnvoll ist. Ein Blick in die einschlägige Literatur zeigt, dass Uneinigkeit bereits im Hinblick auf die begriffliche und konzeptionelle Auffassung des Lernphänomens besteht. Daher sind inhaltlich ausgereifte Vorschläge zur organisatorischen Umsetzung der "Lernenden Unternehmung" in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Darüber hinaus ist es aus grundsätzlichen Erwägungen eher unwahrscheinlich, dass eine geschlossene Theorie des organisationalen Lernens überhaupt entwickelt werden kann, zumal Lernvorgänge auf Unternehmens- bzw. Gruppenebene wohl eher das Ergebnis von weitgehend unbeeinflussten Versuchs-Irrtums-Prozessen als von langfristig und zielorientiert gestalteten Planungsprozessen darstellen."
c) Schreyögg
während Georg Schreyögg, Organisation. 2. Aufl. 1998, Kap. 7.4 bis 7.6 (S. 533 ff.) den organisatorischen Wandel für einen normalen Teil der Systemprozesse hält und Wandel als generelle Kompetenz der Organisation interpretiert (S. 552).
Damit wird die Frage wohl richtiger gestellt: es geht nicht um Ja oder Nein, Lernen oder Nicht-Lernen, sondern um Art und Ausmaß. Deshalb überschreibt Schreyögg das letzte Kapitel auch mit "7.6 Die totale Lernorganisation?" - Fragezeichen im Original, und endet mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, nicht immer alles variabel, sondern auch bestimmte Erwartungen "kontrafaktisch stabil" zu halten (vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, 2. Aufl. 1983)[FN5].
3. Quellen (Literatur, Internet-Adressen) |
Das Thema wird üblicherweise in der Fachliteratur zu Organisation und Management allgemein mitbehandelt (siehe die oben zitierten Quellen: Frese, Schreyögg). Spezifische Quellen:
Emde, Monika | 2005 | Organisationslernen als Option für die Bürokratie. Untersuchung am Beispiel deutscher Kommunalverwaltungen. Dissertation am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Kassel, 2005, Online-Quelle am 19.10.2006 |
Den internationalen Forschungsstand dokumentieren: | ||
Dierkes / Berthoin Antal / Child / Nonaka (Hrsg.) | 2001 | Handbook of Organizational Learning and Knowledge, Oxford 2001 |
Anmerkungen
[1] | Das sind schlimmstenfalls Vorurteile. Ohne Vereinfachungen geht es nicht, sie sollten aber nicht pauschale, nicht überprüfbare, gegen Erfahrungen restistente Urteile sein, sondern nur "vorläufige" Orientierungshilfen, die dem Lernen zugänglich sind. |
[2] | Der berühmte Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann hat deshalb auch einen Aufsatz überschrieben mit dem provozierenden Titel "Lob der Routine" (Verwaltungsarchiv 55 (1964), S. 1-33; neu gedruckt in: Renate Mayntz (Hrsg.), Bürokratische Organisation, Köln-Berlin 1968, S. 324-341.) |
[3] | Das ist nach Niklas Luhmann, Rechtssoziologie (2. Aufl. 1983), die zentrale Funktion von Normen: enttäuschungsfest ("kontrafaktisch") stabilisierte Verhaltenserwartungen. S. a. Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart 2000. |
[4] | Die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren und die Elemente, aus denen sie bestehen, selbst zu schaffen (Autopoiese), steigert noch diese Fähigkeit, ein Eigenleben zu führen. |
[5] | Anders formuliert: es geht nicht ohne Normen, im Sinne von Luhmann (ebd.): kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen. Womit wir wieder zurückgeworfen sind ins praktische Leben, in dem wir konkret entscheiden müssen, was allgemein und für die nächste Zeit stabil geregelt (organisiert) werden soll, was dagegen frei gegeben oder von Fall zu Fall entschieden werden soll. Dieses Optimierungsproblem kann uns keine Theorie abnehmen. |
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© Copyright: Prof. Dr. Burkhardt
Krems, Köln, 2011-01-21 |