Zur Kritik
der analytischen Personalbemessung:
Welchen Stellenwert sollte die "analytische
Personalbemessung" im modernen Verwaltungsmanagement haben?
(Beitrag im Online-Verwaltungslexikon
olev.de, Version 1.12)
Inhalt |
Fazit
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In der modernen Verwaltung mit Fach-, Ressourcen- und
Organisationsverantwortung vor Ort ist die von zentraler Stelle veranlasste
analytische Personalbemessung überflüssig und schädlich. |
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"Personalbedarf" ist keine objektive, vom
Leistungsprogramm, der Qualität der Leistung, von Organisation
(Aufbau und Ablauforganisation!), Qualifikation, Personalentwicklung
und -führung unabhängige Größe. |
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Die "analytische Personalbemessung" täuscht
eine nicht berechtigte Objektivität und Verlässlichkeit
vor. Statt dessen ist Management als umfassende Gestaltungs- und Steuerungsaufgabe
gefordert. |
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"Objektives Instrument" oder Relikt
bürokratischer Organisationsarbeit?
Die "analytische Personalbemessung" ist weiterhin ein beliebtes und
nachgefragtes Instrument. Sie ermittelt empirisch - und damit relativ aufwändig
- Fallzahlen und Fallzeiten und schließt damit auf den genauen Personalbedarf.
Sie ist ein klassisch-bürokratisches und zentralistisches Instrument: die
zentrale Organisationsstelle hat das methodische Instrumentarium um den Personalbedarf
"objektiv" zu ermitteln, die Betroffenen vor Ort sind nicht Akteur,
sondern bloßes Objekt der Organisationsgestaltung.
Die in einer modernen Verwaltung
- zentralen Fragen "Tun wir die richtigen Dinge": stimmen unsere
Dienstleistungen und die Art und Weise, in der sie erbracht werden, erreichen
sie unsere Wirkungs-, Leistungs-, Kunden- und Kostenziele
- vorhandene Zusammenfassung von Fach- und Ressourcenverantwortung (einschließlich
der Verantwortung für die Prozesse und die Organisation im übrigen)
- vorhandene Transparenz über Ziele und Zielerreichung (Leistungen und
Wirkungen, Kundenfreundlichkeit, Kosten)
macht dieses Instrument weitestgehend überflüssig, seine Verwendung
ist u. U. sogar kontraproduktiv.
Die Alternative:
- Produktverantwortung vor Ort, Kostentransparenz, Leistungsvergleiche/Benchmarking,
regelmäßige Kundenbefragungen als Anstöße für ständige
Verbesserungen. Werden Produktkosten über die Zeit verglichen, kann nicht
mehr unbemerkt bleiben, wenn die Arbeitsmenge zurückgeht, der Personalbedarf
aber nicht angepasst wird. Regelmäßige Zielanpassungen schaffen
Anreize für Verbesserungen in allen Zielbereichen, Benchmarking kann
weitere Anstöße liefern. Das erreicht mehr und ergibt intelligentere
Lösungen als die Arbeit der überlasteten zentralen Organisationsstellen.
- Die Personalbemessung als Dienstleistung in der Verantwortung der Facheinheit
vor Ort im Rahmen des Managements von Fachaufgabe und Ressourcen (siehe das
Konzept der KGSt für modernes "Organisationsmanagement", 1999).
Vom Ist zum Soll?
Bereits methodisch ist das Verfahren problematisch:
- Der Ist-Zustand wird zur Grundlage eines Soll-Wertes. Aber:
"Vom Sein kann auf das Sollen logisch nicht geschlossen werden",
sagt Max Weber, und er hat auch heute noch Recht (Stichwort: Erkenntnistheorie,
Karl Popper).
- Was nützen empirische Daten über eine suboptimale Wirklichkeit?
Die Annahme, die Organisationsstelle wüsste auch, wie die Aufgabenerledigung
optimiert werden kann, ist mehrfach irrig: damit ist sie in ihrer Kapazität
überfordert, und das Potenzial vor Ort für Verbesserungen bei allen
Zielbereichen wird nicht genutzt.
- Was ist mit den Wirkungen/Outcome?
Tun wir die richtigen Dinge?
- Wir optimieren die Kosten der Beihilfebearbeitung, aber nicht die Kosten
der Beihilfe, und lassen die betreuten Mitarbeiter dabei im Stich: mit
systematischer Betreuung z. B. von Zuckerkranken, abgestimmt zwischen
Arzt, Krankenkasse und Patient in einem Gesamtkonzept, "Disease Management",
ist es in der Schweiz gelungen, die Zahl von Amputation als Folge der
Zuckerkrankheit um 75% zu senken. Das hat einen viel größeren
Einfluss auf die Beihilfekosten des Dienstherrn als die noch straffere
Bearbeitung der Beihilfeanträge - und ist ein Beitrag zur Lebensqualität
der betroffenen Mitarbeitenden.
- Wir bearbeiten Sozialhilfeanträge effizient, aber helfen damit
nicht, dass die Antragsteller wieder ein selbstbestimmtes Leben führen
können. Kommunen, die in die Bearbeitung und Betreuung investieren,
haben höhere "Verwaltungskosten pro Fall", aber geringere
Sozialhilfeaufwendungen (Messgrößen: Sozialhilfedichte, Dauer
des Verbleibs in der Hilfe zum Lebensunterhalt).
- Entsprechendes gilt für die "Verwaltung" von Arbeitslosigkeit.
- Dominanz der Kosten: Es geht nicht um die optimale Aufgabenerfüllung,
um Wirkungen, Leistungen, Kundenorientierung, sondern um die Kosten. Daran
ist nichts zu kritisieren außer: dass hier mit hohem Aufwand dieser
Zielbereich optimiert wird, die wichtigere Aufgabenerfüllung, die erst
die Existenz der öffentlichen Verwaltung rechtfertigt, wird nicht mit
vergleichbarem Ressourceneinsatz optimiert.
Fallzeiten:
-
Untersuchungen über die Arbeitsproduktivität von Programmierern
ergaben Unterschiede um den Faktor 20 (i.W.: zwanzig!), d. h. 20 sehr
schlechte Programmierer schrieben so viele Programmzeilen wie ein einziger
sehr guter Programmierer. Eine Firma, die sich von 3 sehr schlechten Programmierern
trennt und einen mittelmäßigen dafür gewinnt, dem sie das
doppelte Gehalt zahlt, spart nicht nur drastisch, sondern steigert auch noch
die Leistung. Wie ist - bei dieser Sachlage - der Bedarf an Programmieren
"objektiv" zu bestimmen?
Würde man die Arbeitsproduktivität von Kassierern im Supermarkt
messen, käme man ebenfalls auf erhebliche Unterschiede, könnte
sich aber natürlich an einem Durchschnittswert orientieren. Nur: was
sagt dieser Ist-Durchschnittswert über den Bedarf? Ein Discounter hat
im Jahr 2002 das - ohnehin schon schnelle - Personal an den Kassen so trainiert,
dass sie die Ware durch die Scannerkassen so automatisch durchschieben wie
eine trainierte Schreibkraft Text schreibt - ohne hinzuschauen - auf einmal
war der Zeitbedarf pro Vorgang drastisch geringer. Sprich: der "Bedarf"
an Personal ist abhängig von der Organisation
(hier: einwandfrei funktionierenden Scannerkassen und fehlerfreier Auszeichnung
der Ware), dem Training, der Disziplin des Verkaufspersonals in der Anwendung
des Verfahrens, der Führung.
- Sollte man die Abläufe z. B. durch Qualitätsmanagement optimieren,
sind die aufwändig ermittelten Daten zur Fallzeit Makulatur.
- Was ist wenn man feststellt, dass andere die gleiche oder eine ähnliche
Aufgabe kostengünstiger erledigen? Vielleicht wäre der Vergleich der Stückkosten
instruktiver als der Aufwand einer klassischen Erhebung der Fallzeiten?
- Fallzeiten bestimmen auch die Qualität der Arbeit. Sie ist in vielen
Fällen aber nicht vorgegeben, sondern eine aktuelle Antwort auf die Situation.
Waren die Kapazitäten bisher knapp, hat man z. B. Betreuungsaufgaben
entsprechend reduziert wahrgenommen - evtl. mit erheblichen Langzeitschäden
- der Ist-Wert ist im Vergleich mit anderen aber günstig. Hatte man eine
bessere Personalausstattung, sind die Ist-Werte entsprechend höher, die
Betreuung war u. U. besser mit entsprechenden Wirkungen. Was ist die Grundlage
der Personalbemessung? Ein auf Qualität und Wirkung nicht überprüfter
Ist-Zustand?
- Das gilt insbesondere für Betreuungsaufgaben, z. B. Sozialhilfe:
mehr Unterstützung der Antragsteller dabei, das Leben wieder selbst bewältigen
zu können, kostet Zeit, die Antragsbearbeitung wird teurer, aber sehr
schnell spart es viel Geld für die Sozialleistungen. Am Outcome orientierte
Konzepte in der Sozialhilfe intensivieren deshalb die Bearbeitung und kosten
"mehr Geld" pro Fall als Verwaltungskosten.
- Ein entsprechendes Beispiel für die Lehre: siehe den Beitrag zu den
Kosten der AIV-Ausbildung:
in die Qualität der Lehre an Verwaltungsfachhochschulen zu investieren
kann Kosten verringern, weil die Studierenden weniger oft durchfallen, also
kürzer studieren (ihre Bezüge sind der größte Kostenfaktor!).
-
Klassisch die Arbeitszeit-Untersuchungen im Bildungsbereich, z. B. die
groß angelegte und aufwändige Erhebung bei den Lehrern in NRW Ende
der 90er Jahre - die ebenso ohne Konsequenzen blieb wie frühere Untersuchungen
der Lehrerarbeitszeit. Eine Untersuchung der tatsächlichen Arbeitsbelastung
von Hochschullehrern an einer internen Verwaltungsfachhochschule ergab, dass
diese auch dann noch ausgelastet und z. T. überlastet waren, als sie
keine einzige Stunde unterrichteten. Der "wertende" Charakter der
KMK-Vereinbarung über die Lehrdeputate an Hochschulen hat von daher seine
Berechtigung, und Praxis und Rechtsprechung haben ein durchaus richtiges Gespür
für die Unvollkommenheit der Versuche, diese Fragen zu "objektivieren".
Fallzahlen:
- Und was ist mit den Fallzahlen: lassen sie sich beeinflussen, was u. U.
auf den Personalbedarf eine viel drastischere Auswirkung hat als die Messergebnisse?
Wie können wir z. B. die Zahl von Anträgen verringern, die abgelehnt
werden müssen? Durch bessere Informationsmöglichkeiten und "Selbsttest"
der Antragsteller nach dem Motto "Habe ich einen Anspruch auf ..."?
Ein solches Computerprogramm im Internet spart u. U. viel mehr als der hohe
Aufwand einer scheingenauen Personalbedarfsermittlung.
- Und wenn der Personalbedarf wirklich sinnvoll anhand der Ist-Werte von Fallzahlen
und Fallzeiten ermittelt werden muss, dann macht das ziemlich viel Arbeit,
wenn man es verlässlich tut - anders sollte man es nicht tun und darf es nicht!
- da wäre die Ermittlung von Vergleichsdaten u. U. instruktiver, allerdings
liegen sie nicht auf der Straße.
Aktualität:
Die erhobenen Daten gelten für den Zeitraum der Erhebung. Eines der wichtigsten
Probleme ist aber die Veränderung dieser Daten: sinken Fallzahl oder Fallzeit
(z. B. durch optimierte Abläufe, den Einsatz moderner Technik), besteht
bei herkömmlicher Struktur kein Zwang zur Anpassung des Personalbedarfs,
vielmehr finden die Führungskräfte neue Möglichkeiten, die Kapazität
zu nutzen.
Benötigt wird also ein Instrument, dass diese Veränderungen anzeigt
und zu Prüfungen und Reaktionen zwingt, gleichzeitig aber nicht den Aufwand
der analytischen Personalbemessung verursacht.
Fazit:
Die Zweifel an der Ermittlung eines "objektiven" Personalbedarfs
gelten erst Recht für alle Nicht-Routineaufgaben, z. B. in Ministerien,
bei denen oft nicht einmal das Leistungsprogramm mit seinen Anforderungen eindeutig
definiert ist - selbst wenn es das sein sollte, dürften die Erfahrungen
mit der Produktivität von Programmieren zumindest für einen wesentlichen
Teil der Aufgaben entsprechend anwendbar sein.
Deshalb hat die KGSt - zu Recht - die früheren
Arbeiten an Personalbedarfskennzahlen nicht mehr weitergeführt.
In vielen Fällen ist der Personalbedarf auch abhängig von der gewünschten
Qualität der Leistung. Das praktizierte Verfahren, hierfür quasi "willkürlich",
Zahlen zu bestimmen (z. B. Schüler-Lehrer- oder Betreuungsrelationen), entspricht
im Ansatz dem Target Costing. Hier gibt
es wohl noch einigen Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
"Personalbedarf" ist keine objektive, vom Leistungsprogramm, der
Qualität der Leistung, von Organisation
(Aufbau und Ablauforganisation!), Qualifikation, Personalentwicklung und -führung
unabhängige Größe.
Bisherige Verfahren liefern eher scheingenaue Ergebnisse und täuschen
eine nicht berechtigte Objektivität und Verlässlichkeit vor. Statt
dessen ist Management als umfassende Gestaltungs- und Steuerungsaufgabe gefordert.
Alternativen:
Produktverantwortung vor Ort, Kostentransparenz, Leistungsvergleiche/Benchmarking,
regelmäßige Kundenbefragungen als Anstöße für ständige
Verbesserungen. Werden Produktkosten über die Zeit verglichen, kann nicht
mehr unbemerkt bleiben, wenn die Arbeitsmenge zurückgeht, der Personalbestand
aber nicht angepasst wird. Regelmäßige Zielanpassungen schaffen Anreize
für Verbesserungen in allen Zielbereichen, Benchmarking kann weitere Anstöße
liefern. Das erreicht mehr und ergibt intelligentere Lösungen als die Arbeit
der überlasteten zentralen Organisationsstellen.
Weitere Aspekte
- Zunächst: es geht nicht ohne strategisches Management.
Im übrigen:
- Was leistet die KLR
in dieser Frage? Der Vergleich der Stückkosten über die Zeit und/oder
mit anderen und/oder mit Vorgaben zur schrittweisen Senkung sind u. U.
viel wirksamere und kostengünstigere Möglichkeiten, die Personalkosten
zu beeinflussen.
- Was ist, wenn Controlling
als Gesamtkonzept (4-Felder-Bericht) eine Beurteilung zuverlässiger erlaubt
als die isolierte Betrachtung des Personalbedarfs?
- Nicht zu vergessen: